6/30/2006

Brief an Silke

Diesen Brief schrieb ich an meine gute Freundin Silke. Aus einem spontanen und tiefen Gefühl heraus. Einem Gefühl der Dankbarkeit dafür, dass sie sich nicht einfach auf Straßen setzt und unserem Land die Vorfahrt nimmt, sondern die Solidarität bereits in ihrem neuen und somit weitaus realeren Sinne versteht. Sie zahlt für ihre Ausbildung. Natürlich!
Doch, bitte, lesen Sie selbst!


Liebe Silke,

es soll immer noch Ausbildungen geben, die kostenlos sind. Für einige wird - und das im 21. Jahrhundert - sogar weiterhin Geld vom Arbeitgeber an den Ausbildungsprofiteur gezahlt. Verkehrte Welt! Du und ich wir zwei wissen beide: So geht es nicht weiter. Was für ein gutes Gefühl es ist, für seine Ausbildung zu bezahlen, gerade dann wenn man die Kosten eigentlich gar nicht selbst aufbringen kann, das weißt Du ja sehr gut. Und auch wenn man später nichts mit ihr anfangen kann, so ist es doch ein gutes und jederzeit beseelendes Gefühl, mit der eigenen Strebsamkeit wenigstens die Wirtschaft unseres wundervollen Vaterlandes gefördert zu haben. Hinzu kommt natürlich noch die erhabene Würde, die einen Menschen erfüllt, wenn er als Kunde, als Käufer seiner eigenen Ausbildung, auf seine Rechte pochen kann und diese nicht mehr krakeelend auf der Straße oder endlos rumlabernd in unergiebigen Diskussionsrunden einfordern muss. Ich erinnere nur an die erbauliche Episode, die Du mir einmal erzähltest: Klassenkameradinnen in Deiner Kosmetikschule hatten das Lernen für eine Klassenarbeit vergessen, weil sie auf der Frankfurter Goethestraße shoppen gehen mussten. Nach der Klassenarbeit waren sie mit der Bewertung ihrer Leistungen nicht zufrieden und machten ihrem Unmut bei der Schulleiterin Luft. Die Folge: Als Kundinnen hatten sie selbstverständlich die Macht und konnten durch die Androhung, anderenfalls zur Konkurrenz zu wechseln, für sich ein besseres Ergebnis herausholen. Es tut doch gut an solchen Beispielen das reibungslose Funktionieren unseres Wirtschaftsmodells immer wieder beobachten zu können. Wir wissen des weiteren natürlich beide, dass es nichts weiter als der natürliche Lauf der Welt ist, sich bestimmte Ausbildungswünsche - in Deinem Fall ist das der Besuch einer Visagistenschule - bald nicht mehr leisten zu können, so man gebürtig eben dem falschen Geschlechte (i.e. Familie) entsprungen ist. In diesem Sinne fordere ich Dich auf gemeinsam mit mir und den vielen tausend Menschen, die jetzt endlich die Wahrheit erkennen, dafür zu kämpfen, dass bald auch die letzte soziale Ungerechtigkeit im Bereich der Ausbildung fallen wird. Damit nicht länger die Reichen in diesem Land für die Ausbildung der Anderen bezahlen müssen! Denn wie es uns ergeht, dass kann diese edlen Menschen nun wirklich nicht auch noch beschäftigen. Deshalb, liebe Silke, bringe bitte Deine zahlreichen erfüllenden und guten Erfahrungen mit einer kostenpflichtigen Ausbildung in unseren Kampf für Studiengebühren, für die Abschaffung von Ausbildungsgehältern und für eine kostenpflichtige Massage-Ausbildung ein.

Glück Auf meine libertäre Kampfgefährtin! Dein Freund O.